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Varianzswap

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Das Original: Gabler Banklexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Begriff: Ein Varianzswap ist ein Forward-Kontrakt, der dem Käufer bei Laufzeitende die Differenz zwischen der annualisierten realisierten Varianz, also der quadrierten zukünftigen tatsächlichen Volatilität, der Rendite des Basiswertes und der vorab vereinbarten Varianzswap-Rate auszahlt. Der Kontrakt soll bei Abschluss einen Wert von Null haben, so dass die Varianzswap-Rate, der sog. Varianz-Strike, mit dem Erwartungswert der Varianz, also der quadrierten erwarteten Volatilität übereinstimmt. Es erfolgt also (approximativ, wegen der Wurzelbildung) ein Tausch von zukünftiger tatsächlicher Volatilität gegen heute für die Zukunft erwartete Volatilität, anders ausgedrückt von realisierter gegen implizite Volatilität; die von den Marktteilnehmern als fair empfundene unterstellte implizite Volatilität sorgt also für den Interessenausgleich. Daher erfolgen – abgesehen von Margin-Vereinbarungen bzw. börslichen -anforderungen – keinerlei Zahlungen bis zum Laufzeitende, so dass die Verwendung des Swap-Begriffes strenggenommen irreführend ist. Dies bezeigt auch die Tatsache, dass Varianzswaps ebenso auf Währungen, Commodity-Futures und Zinsinstrumente gehandelt werden, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als auf Aktien und vor allem Aktienindizes; sie existieren hier ganz unabhängig von den liquiden Märkten für Zins-, Devisen- und Währungsswaps. Der Marktgegenstand von Varianzswaps ist ein grundlegend anderer: Sie ermöglichen den Handel mit echter Volatilität.

    2. Konstruktion: Die dynamische Entwicklung, die der Markt für Varianzswaps seit seiner Entstehung in den 1990er Jahren genommen hat, zeigt sich momentan in einer Größenordnung des Open Interest bei Index-Produkten in sog. "nominalen Vega" von ca. 2-3 Mrd. US-$ weltweit und hat auch dem im Verlauf der jüngeren Bankenkrise gestiegenen Kontrahentenrikos (Counterparty Risk) trotzen können. Der Markterfolg hängt mit dem denkbar einfachen Auszahlungsprofil eines Varianzswaps und den im Laufe der Zeit immer weiter entwickelten Replikations- und Hedgemethoden zusammen; letztere bewirken, dass die als fair empfundene implizite Volatilität auch eine arbitragefreie ist. Die finale Zahlung bei Fälligkeit des Swaps beläuft sich auf

    Total P&L = nominale Varianz · (σ2 – σstrike2).

    Die Ähnlichkeit zum Tagesgewinn/-verlust einer delta-neutralen Optionsposition, nämlich

    Daily P&L = 1/2 S2 Gamma · (σ2 – σimplied2)

    (vgl. Volatilitätsstrategien, Ziff. 3.d)) ist augenfällig und gewährt einen intuitiven Zugang zur Konstruktion eines Varianzswaps, indem die Unterschiede zwischen beiden Formeln herausgearbeitet werden:

    a) Bei Vertragsabschluss wird die durchschnittliche quadrierte implizite Volatilität σimplied2 als Basispreis σstrike2 festgeschrieben, um die Charakteristik eines Forward-Kontraktes zu gewährleisten; es wird von einem "fixed leg" (σstrike2) und einem "floating leg" (σ2) gesprochen. An den Märkten als fair empfunden wird dabei die unmittelbare Orientierung am gerade herrschenden Volatility Skew (und nicht zuletzt dessen Konvexität), um unter Vernachlässigung von Volatilitätsrisiken die Eigenschaft der impliziten ATM-Forward-Volatilität (Moneyness) als unverzerrter Schätzer für die zukünftige implizite ATM-Volatilität nutzen zu können (vgl. Volatility Cone, Ziff. 2).

    b) Als besonders misslich wurde die Pfadabhängigkeit des Gewinn-Verlust-Profils delta-neutraler Optionspositionen durch die zwischenzeitlichen Veränderungen des Gamma-Faktors (vor der Klammer) empfunden (vgl. Volatilitätsstrategien, Ziff. 3.d)). In einem richtungsweisenden Schritt für die Entwicklung des Marktes für Varianzswaps wurde daraus die Idee geboren, diese Pfadabhängigkeit dadurch zu eliminieren, dass der Faktor vor der Klammer als Konstante festgesetzt wird, die wiederum dem gerade herrschenden Skew Rechnung tragen muss, der genau den von den Marktteilnehmern erwarteten Pfad der Kursentwicklung widerspiegelt (vgl. Volatility Surface, Ziff. 3). Genau dadurch erlaubt das Engagement in einem Varianzswap, sich ausschließlich in realisierter Volatilität zu exponieren, was dem Wunsch zahlreicher Marktteilnehmer entsprach und entspricht.

    c) Durch diese doppelte Festsetzung (nach a) und b)) wird das Gamma-Risiko unmittelbar eliminert und das Vega-Risiko insoweit, als das Vega eines Varianzswaps prognostizierbar und sogar linear mit der Zeit abnimmt. Deshalb können die täglichen Gewinne – auch während der Laufzeit, aus der bis dahin realisierten Volatilität und der dann noch jeweils ausstehenden impliziten Volatilität - einfach aufsummiert werden und ergeben bei Fälligkeit den zu zahlenden Betrag.

    3. Varianzswap versus Volatilitätsswap: Das auf den ersten Blick überraschendste Konstruktionsmerkmal eines Varianzswaps besteht wohl darin, dass explizit nicht auf die vertraute Kennzahl der Volatilität, sondern auf die – schwerer zu interpretierende – Varianz Bezug genommen wird. Das hat zwei Gründe: Zum einen trägt die Quadrierung der Volatilität der beobachtbaren Leptokurtosis (als 4. Moment der Wahrscheinlichkeitsverteilung (Verteilungsfunktion)) zahlreicher Wertpapierrenditen (Portfolio-Theorie, Modellbeurteilung) genau dadurch Rechnung, dass die daraus resultierende empirisch beobachtbare Volatilität der Volatilität ("Vola-Vola") geradezu zufällig rein rechnerisch in der Varianz (als 2. Moment der Wahrscheinlichkeitsverteilung) abgebildet werden kann. Mit anderen Worten "passt" die empirisch beobachtbare Konvexität der Volatilität zur (allein) rechentechnisch bedingten Konvexitätseigenschaft (Konvexität in Volatilität) der Varianz, die damit das Kurtosis-Risiko (Skew-Risiko, Ziff. 2) unmittelbar in der Kontraktspezifikation erfasst; zu diesem Zweck wird der in Ziff. 3.c) erläuterte konstante Faktor keineswegs proportional zum sog. "nominalen Vega" (das ist vielmehr die "Volatility Unit") festgesetzt, sondern muss um das Ultima, die Veränderung des Volga in Abhängigkeit von der impliziten Volatilität, korrigiert werden (Volga = Veränderung des Vega in Abhängigkeit von der impliziten Volatilität): nominale Varianz = nominales Vega / 2 · Varianz-Strike.

    Der zweite Grund für die größere Verbreitung von Varianz- gegenüber Volatilitätsswaps ist darin zu sehen, dass ein Varianzswap bereits semistatisch robust repliziert und damit arbitragefrei modellunabhängig bewertet werden kann, und zwar indem ein spezielles Optionsportfolio europäischer Art so zusammengestellt wird, dass das Portefeuille-Gamma über die Laufzeit konstant ist; dafür müssen die einzelnen Optionen nur reziprok zu ihrem quadrierten Basispreis gewichtet werden, wobei das gesamte Spektrum an verfügbaren Optionsserien genutzt werden sollte, um nach Möglichkeit allen erdenklichen Kursentwicklungen des Underlying gerecht zu werden. (Die Position ist delta-hedgebedürftig und wird deshalb als semistatisch bezeichnet, weil ein echtes statisches Hedging nur mit sog. Log-Kontrakten möglich ist, die bei Fälligkeit den (natürlich) logarithmierten Kurs des Basiswertes auszahlen; derartige Wertpapiere werden derzeit nicht an den Märkten gehandelt.) Im Unterschied hierzu bedarf es für eine robuste Replikation und damit arbitragefreie modellunabhängige Bewertung eines Volatilitätsswaps eines in der Literatur als beschwerlich eingeschätzten dynamischen Replikationkonzeptes. Im Kern der Sache bedarf es nur eines Hedging des Skew-Risikos durch einen kontinuierlichen Handel mit Risk Reversals, ausgehend von einer initialen DNS-Position in delta-neutralen Straddles (vgl. Moneyness, Ziff. 3), ergänzt um eine skewgerechte Risk Conversion (auf Reverse-Skew-Märkten). Einzuräumen ist, dass die Marktusancen an den Risk-Reversal-Märkten nicht das gewünschte Spanning über möglichst viele Optionsserien erlauben, demgegenüber die Delta-Anpassung für Replikation und Bewertung von Varianzswaps unkompliziert im Underlying umgesetzt werden kann; auch die laufende Bewertung ist erschwert, weil das Vega eines Volatilitätsswaps nicht linear, sondern radiziert, also in Abhängigkeit von √T (Wurzel-T-Regel, vgl. Autokorrelation), mit der Zeit abnimmt.

    4. Zur Höhe der Swap-Rate in Abhängigkeit vom Volatility Skew: Wie bereits erwähnt, wird an den Märkten offenbar die arbitragefreie Swap-Rate auch als fair empfunden, so dass die unmittelbare Orientierung am gerade herrschenden Volatility Skew marktüblich ist. Erfahrungsgemäß kann sie im Bereich der Out-of-the-money-Puts mit einem Delta von – 30% verortet werden; im einzelnen existieren auch unterschiedlich komplexe Faustformeln, die vor allem bei weniger liquiden Optionsmärkten zum Einsatz kommen. Ein Beispiel verdeutlicht die Zusammenhänge: Bei einer nominalen Varianz von 2.500,- (vgl. Volatility Unit) und einem Volatility-Strike von 20% für einen 3-Monate-Varianzswap muss bei einer nach 3 Monaten durchschnittlich realisierten Volatilität von 18% der Käufer des Swaps 2.500,- x (18² – 20²) = 2.500,- x (324 – 400) = – 190.000,- € an den Verkäufer zahlen – keine untypische Größenordnung in der Praxis des OTC-Handels; analog beläuft sich bei einer realisierten Volatilität von 22% die Zahlung des Verkäufers an den Käufer auf 210.000,- €. Aus Anschauungsgründen wurde hier von denkbaren Logarithmierungen (vgl. Normalverteilung) der Volatilitätsänderungen abgesehn.
    Würde der Volatility-Strike bei einem Volatilitätsswap ebenfalls bei 20% angesetzt werden, wären statt dessen in beiden Situationen 2.500,- x 2·20 x (18 – 20) = 2.500,- x 2·20 x (22 – 20) = 100.000,- x 2 = 200.000,- € fällig. Dies zeigt den Konvexitätseffekt ganz deutlich: Der mögliche Gewinn liegt um 10.000,- € höher als beim Varianzswap, der mögliche Verlust fällt um 10.000,- geringer aus. Aus diesem Grund muss der Volatility-Strike eines Volatilitätsswaps immer niedriger anzusetzen sein als bei einem Varianzswap, etwa im ATMF-Bereich (vgl. Moneyness).

    Weiterhin gilt für beide Swap-Varianten, dass der Verkäufer zwar nicht unmittelbar durch die Konstruktion, aber durch die aritragegetriebene Bezugnahme auf den Volatility Skew dem Käufer letztlich auch das Skew-Risiko i.e.S. (s.d., Ziff. 2) abnimmt; im Rahmen von Volatilitätsprämienstrategien (Volatilitätsstrategien) scheint auch dies für viele Marktteilnehmer attraktiv zu sein. Sollten sich hinter der spezifischen Ausprägung eines Skew auch mögliche Kursänderungserwartungen verbergen (Volatility Surface, Ziff. 4), macht sich der Verkäufer eines Swaps diese en passant auch zu eigen.

    5. Einsatzmöglichkeiten von Varianz- (und Volatilitäts)-Swaps: Nach dem Vorangehenden liegen die wichtigsten Motive der Marktakteure auf der Hand:
    • Spekulation allein auf die zukünftige realisierte Volatilität;
    • Hedging der Exposure gegenüber der tatsächlichen Volatilität aus anderen Positionen, eher mit kurzen Restlaufzeiten;
    • Hedging der Exposure gegenüber der impliziten Volatilität aus anderen Positionen, eher mit langen Restlaufzeiten (s. Ziff. 2.c)) zur linearen Abnahme des Vega im Laufe der Zeit) und ggf. vorzeitiger Glattstellung;
    • Umsetzung von Volatilitätshandels- und Volatilitätsprämienstrategien bzgl. der Differenz zwischen realisierter und impliziter Volatilität. So stehen sich im Kern typischerweise gegenüber: Long-Positionen, mit denen die empirisch regelmäßig zu beobachtende antizklische Entwicklung des Kurses, genauer: der Rendite eines Basiswertes und dessen (tatsächlicher) Volatilität zu Zwecken des Diversifikation der Gesamtportefeuilles ausgenutzt werden soll, und Short-Positionen, die auf die Ausnutzung der ebenso typischen Aufwärtsverzerrung der impliziten gegenüber der tatsächlichen Volatilität (vgl. Volatilitätsindex, Ziff. 3) abzielen; auch letzteres kann der Diversifikation dienen, indem vor allem Rolling-Short-Positionen in Varianzswaps als Alternative zur festverzinslichen Anlage aufscheinen (vgl. Volatilitätsindex, Ziff. 4);
    • Kombination dieser beiden Ansätze, indem gleichzeitig Short-Positionen in kurzlaufenden und Long-Positionen in langlaufenden Varianzswaps eingegangen werden;
    • Spekulation auf die realisierte Forward-Volatilität durch eine ratioed Variante der letzteren kombinierten Position – nicht zu verwechseln mit einer Spekulation auf die implizite Forward-Volatilität, die mit Time-Spreads in klassichen kombinierten Optionspositionen ins Werk gesetzt wird (Volatilitätsstrategien, Ziff. 3.c), 4.c));
    • vega-gehedgtes Dispersion Trading (Volatilitätsstrategien, Ziff. 3.e)) in Ermangelung verfügbarer Correlation Swaps oder prinzipiell als Alternative dazu.

    Es existieren zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten und dahingehende Strategien, insbesondere mit kombinierten Positionen.

    6. Weiterentwicklungen: Aus den Bedürfnissen der Marktteilnehmer heraus haben sich in der Praxis eine Reihe von Varitionen der skizzierten Grundstruktur ergeben. Die wichtigsten sind
    • Capped Swaps: Ein Anstieg der realisierten Volatilität wird nur bis zu einer bestimmten Höhe gewertet, um die Verkäufer vor extremen Volatilitätsausschlägen nach oben (und nicht nach unten) zu schützen. So ist ein Cap von 2,5·σstrike2 mittlerweile marktüblich geworden; mit einem solchen Far-out-of-the-Money-Call auf die realisierte Varianz muss die Swap-Rate i.d.R. nur wenig abgesenkt werden, um vom Markt aufgenommen zu werden.
    • Gamma Swaps: Das o.g. "Dollar, Euro etc. Gamma" wird nicht konstant gehalten, sondern linear zum Kurs des Basiswertes gesetzt. So werden neuerlich Volatilitätsspitzen in ihrer Wirkung abgefedert, nun indirekt über die häufig damit einhergehenden Kurseinbrüche. Die Konvexitäts-Exposure wird gesenkt und liegt zwischen der von Varianz- und Volatilitätssawps. Überdies sind Replikation und Hedging gegenüber den einfachen Varianzswaps wesentlich erleichtert.
    • Corridor Variance Swaps: Es werden für die realisierte Volatilität nur die Handelstage berücksichtigt, in denen sich der Kurs des Underlying innerhalb einer bestimmten Range befindet, die auch nach oben oder unten offen sein kann; ansonsten wird die realisierte Volatilität auf Null gesetzt. Diese besonders preiswerte Variante einer Long-Position in Volatilität dürfte sich nur bei sehr konkreten Erwartungen zur Entwicklung des Underlying rechnen.
    • Conditional Variance Swaps: Weit verbreitete Variante, in der ebenfalls eine Range für das Underlying gesetzt wird, aber außerhalb der Range die Handelstage überhaupt nicht in die Berechnung eingehen, während in einem solchen Fall beim Corridor Swap das "fixed leg" weiterläuft. Im wesentlichen gibt es zwei Varianten: Zum einen existieren Up- und Down-Varianzswaps, in denen der Swapmechanismus nur bei Über- oder Unterschreitung eines bestimmten Kursniveaus des Underlying aktiviert wird, dann aber unbegrenzt oder bis zu einer weit entfernten Barriere in Kraft bleibt; es liegt aus der Hand, dass für Investoren mit "Crash-o-Phobie" gerade Down-Varianzswaps interessant sein können; sie sind allerdings teurer, d.h. werden zu einer höheren Swap-Rate angeboten als einfache Varianzswaps, während das Up-Pendant i.d.R. günstiger als diese erhältlich ist. Zum anderen wird eine spezifische Range eher um den aktuellen Kurs des Underlying herum gezogen (oder synthetisiert), in denen eine sehr konrete Skew-Exposure etabliert werden kann; weiterhin werden die Kursbewegungen nur bis zu den Barrieren relevant, so dass für Replikation und Hedging nicht die oft nur wenig liquiden Märkt für Deep-out-of-the-Money-Optionen (Moneyness) herangezogen bzw. betreten werden müssen.
    • Optionen auf Varianzswaps: Diese seit Mitte der 2000er Jahre existierenden Derivate sind unmittelbar dem Handel der "Vola-Vola" gewidmet; auch der beschriebene Cap bei Gamma Swaps ist eine solche Option, und zwar embedded. Aus Raumgründen muss auf die Literatur verwiesen werden.

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