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Geldpolitik des ESZB

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Das Original: Gabler Banklexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    1. Begriff: Gesamtheit aller Maßnahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) zur Erreichung der von ihm verfolgten (makroökonomischen) Ziele. Vorrangiges Ziel ist Preisstabilität. Darüber hinaus hat das ESZB die Aufgabe, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Europäischen Union (EU) zu unterstützen, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preis(niveau)stabilität möglich ist.

    2. Geldpolitische Strategie: a) Grundlagen: Zwischen dem Einsatz geldpolitischer Instrumente und ihren Wirkungen auf das Preisniveau steht ein komplexer, in seinen Einzelheiten nicht eindeutig geklärter Transmissionsmechanismus. Geldpolitische Impulse wirken erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Zielgrößen, wobei weder die Länge dieser zeitlichen Verzögerung noch die Wirkungsstärke des Impulses genau eingeschätzt werden können. Die Geldpolitik ist eine komplexe Aufgabe. Aus Sicht des ESZB erfordert diese Komplexität einen klaren, handlungsgestaltenden Rahmen, d.h. eine geldpolitische Strategie, mit der zweierlei bezweckt wird: Erstens soll für die EZB ein konsistenter Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen geldpolitische relevante Informationen gesammelt, analysiert und in entsprechende Entscheidungen transformiert werden. Zweitens soll mit der Festlegung auf eine Strategie die Geldpolitik für die Öffentlichkeit nachvollziehbar bzw. vorhersehbar werden, um so Glaubwürdigkeit zu schaffen. Für das ESZB bedeutet dies einerseits, dass die Öffentlichkeit über das vorrangige Ziel der Geldpolitik Preisniveaustabilität und über den Zielerreichungsgrad informiert werden muss. Es bedeutet andererseits, dass die Öffentlichkeit auch darüber informiert werden muss, auf welchem Weg das ESZB das Ziel der Preisniveaustabilität erreichen will.

    Den so beschriebenen Anforderungen versucht das ESZB mit einer Strategie Rechnung zu tragen, die davon ausgeht, dass das wichtigste Ziel der Geldpolitik quantifiziert und der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden muss. Das ESZB bezeichnet seine Strategie als Zwei-Säulen-Strategie. Die eine Säule umfasst die breite Analyse realwirtschaftlicher und monetärer Bedingungen über eine größere Zahl geeigneter Indikatoren. Die andere Säule umfasst die Analyse monetärer Aggregate, wie der Geldmenge M3 und ihrer Gegenpositionen. Während die EZB zunächst die Begriffe "erste Säule" und "zweite Säule" verwendet hat, vermeidet sie diese Bezeichnungen heute, um den Eindruck einer Rangfolge zu vermeiden. Auffällig ist aber, dass in den Editorials der Monatsbericht früher zunächst die monetären Aggregate diskutiert wurden (erste Säule) und danach die anderen Indikatoren (zweite Säule), während jetzt die umgekehrte Reihenfolge gilt. 
    b) Zielquantifizierung: Der EZB-Rat quantifiziert das Ziel der Preisniveaustabilität unter Rückgriff auf den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Das Preisstabilitätsziel wird dann als erreicht angesehen, wenn der HVPI für die Eurozone um weniger als zwei Prozent pro Jahr ansteigt, wobei aber eine Inflationsrate von dicht unter zwei Prozent angestrebt wird. Die EZB betont, dass sie das so quantifizierte Preisstabilitätsziel als mittelfristiges Ziel betrachtet. Ein kurzfristiger Anstieg der Veränderungsrate des HVPI über zwei Prozent wird demnach nicht automatisch als Zielverletzung betrachtet. Dass als Ziel keine Inflationsrate von null Prozent angestrebt wird, hängt mit der generellen Unschärfe der Erfassung der Inflationsrate, mit einer möglichen Übertreibungstendenz des verwendeten Index und mit einem gewünschten Abstand zur Deflation zusammen. Die EZB vermeidet die Angabe einer präzisen Zielinflationsrate, weil die Geldpolitik mit der punktgenauen Ansteuerung einer vorgegebenen Preissteigerungsrate überfordert wäre.
    c) Mittelfristige Orientierung: Die EZB betrachtet das Preisstabilitätsziel als mittelfristiges Ziel. Es gibt eine Vielzahl von Gründen für kurzfristige Schwankungen des Preisniveaus, die nicht im monetären Bereich liegen und für die das ESZB keine Verantwortung trägt. Dies können Änderungen im fiskalpolitischen Bereich sein (z.B. Erhöhungen der indirekten Steuern) oder Angebotsschocks (z.B. Erhöhung von Rohstoffpreisen, zu hohe Lohnabschlüsse). Nach Auffassung des EZB-Rates würde eine kurzfristige Reaktion auf solche Störungen nicht nur das geldpolitische Instrumentarium überfordern, sondern auch zu einer Verstärkung der Unsicherheiten bei den Marktteilnehmern beitragen, was bei einer mittelfristig ausgerichteten Geldpolitik vermutlich nicht der Fall wäre. Zur umfassenden Beurteilung der künftigen Preisentwicklung bzw. der Risiken für die Preisstabilität wird eine breite Palette von Indikatoren herangezogen. Genannt werden u.a. als Vorlaufindikatoren für die Preisentwicklung: Löhne, Wechselkurs, Anleihekurse, Zinsstruktur, fiskalpolitische Indikatoren, Preis- und Kostenindizes sowie Branchen- und Verbraucherumfragen. Die Entwicklung dieser und weiterer Indikatoren wird vom EZB-Rat im Einzelnen in Hinblick auf ihre Aussagen über die zukünftige Preisentwicklung analysiert. Darüber hinaus werden auch die zahlreichen Inflationsprognosen, die von internationalen, öffentlichen und privaten Institutionen erstellt werden, in den Beurteilungsprozess mit einbezogen.

    Das Ergebnis dieser Einschätzungen soll ebenso wie der Weg, auf dem man zu dem Ergebnis gelangt ist, der Öffentlichkeit zeitnah und vollständig erläutert werden. Das ESZB geht davon aus, dass auf diese Weise die Glaubwürdigkeit seiner stabilitätsorientierten geldpolitischen Strategie am besten gefördert wird und damit das Ziel der Preisstabilität auch am ehesten zu erreichen ist.

    3. Instrumente: Die Geldpolitik greift auf drei Arten von Instrumenten zurück: Offenmarktpolitik des ESZB, ständige Fazilitäten des ESZB sowie Mindestreservepolitik des ESZB.

    4. Beurteilung: Im Vergleich der Ziele des ESZB mit denen der Deutsche Bundesbank wird sichtbar, dass Preisniveaustabilität noch stärker in den Vordergrund getreten ist. Aus verschiedenen Veröffentlichungen der EZB kann man ersehen, dass Preisniveaustabilität nicht nur als vorrangiges Ziel betrachtet wird, sondern auch die Auffassung besteht, dass zumindest langfristig die anderen wirtschaftspolitischen Ziele der EU am ehesten durch die Erhaltung der Preisstabilität befördert werden können. In diesem Sinne vertritt die EZB eine neoklassische Grundposition. Wie das Verhalten des ESZB seit Beginn der Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise zeigt, ist eine einfache Zuordnung zu einem makroökonomischen Paradigma nicht möglich.

    Weitere Informationen unter www.ecb.int.

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